Das ist kein Buch
Das plakativ aufgemachte Pappbilderbuch von Jean Jullien gibt überraschende und immer wieder komische Einblicke in ein Buch, das eigentlich gar keines sein möchte. Aber was ist es dann? Der Bilderbuch-Tipp von Silke Rabus.
„Das ist kein Buch“, steht in handgeschriebenen Lettern auf dem Cover des hochformatigen Pappbilderbuchs, das sich der französische und in London lebende Grafikkünstler Jean Jullien ausgedacht hat. Darauf abgebildet ist eine rote Tür, durch deren Briefschlitz zwei weit aufgerissene Augen starren, während sich aus der darunter angebrachten Katzentür eine ebenso grossäugige Mieze zwängt. Interessant, denkt man sich und dreht das Buch, das kein Buch sein möchte, auf seine Rückseite – um sich mit einem Mal hinter den Kulissen zu befinden. Nun schaut man von hinten auf einen Jungen, der leicht gebückt durch einen Briefschlitz in einer weissen Tür blickt, während bodennah das Hinterteil einer nach draussen schlüpfenden Katze zu sehen ist.
Tennisplatz, Werkzeugkasten, Po und Theater
Eines macht der radikale Perspektivwechsel sofort deutlich: Das gut in der Hand liegende Pappbilderbuch spielt nicht nur mit der Wahrnehmung, sondern auch mit der Darstellung von Raum. Neugierig geworden, schlägt man spätestens jetzt die erste Doppelseite auf und schaut, nach einer Drehung um 90 Grad, direkt in das weit aufgerissene Maul eines zahnbewehrten Tieres. Huch! Kurz darauf öffnet sich ein Notebook mit Tastatur und Bildschirm, das – stellt man es im rechten Winkel auf – frappant an einen „echten“ Computer erinnert. Ein paar Seiten weiter zeigen sich auf plakativen, farbenfrohen, stark konturierten Illustrationen ein Tennisplatz, ein Werkzeugkasten, ein Po, ein Theater.
Schmetterling, Kühlschrank, Zelt und Klavier
Besonders eindrucksvoll gerät das Spiel mit der Illusion dann, wenn man das fast wortlose Buch dreht, wendet oder bewegt. Einen Schmetterling kann man die Flügel flattern lassen und das Klatschen von zwei Händen lässt sich ebenso imitieren wie das Zuschlagen eines vollgeräumten Kühlschranks. Viele der mit schrägen Perspektiven experimentierenden Illustrationen präsentieren sich dabei als dreidimensionale Objekte. Einmal liegt man unter dem schützenden Dach eines Zeltes, ein andermal ist man versucht, auf einem aufgeklappten Klavier zu spielen. Immer wieder fühlt man sich auch an das berühmte Gemälde von René Magritte erinnert, das zwar eine braune Pfeife zeigt, dazu aber den Text „Ceci n’est pas une pipe“ stellt: Nicht immer sieht man also das, was man zu sehen vermeint – was die kreativen Kleinen vermutlich schneller begreifen als jeder Erwachsene. Nach dem Willen seines Erfinders soll dieses Buch jedenfalls vor allem ein Spielzeug sein. Und das ist es definitiv! Oder doch nicht? Inmitten des amüsanten Verwirrspiels, in dem man so viel entdecken und ausprobieren kann, erblickt man nämlich einen kleinen Jungen, der auf einem rosa Sessel sitzt und liest. Und auf dem Buch, das er in den Händen hält, liest man diesmal: „Das ist ein Buch“.
Silke Rabus

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TitelDas ist kein Buch
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Autor:inJean Jullien
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GenreFiction
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VerlagAntje Kunstmann
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Erscheinungsdatum2018
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Seiten28
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Bewertung