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Gertrude grenzenlos

| Fachredaktion | Bilderbuch

Die Freundschaft von Ina und Gertrude wird vom Ausreiseantrag von Gertrudes Eltern aus der DDR in die BRD überschattet. Zugleich gibt die Autorin Judith Burger einen Einblick in die Anfänge der Friedensbewegung in der DDR, die 1989 zum Mauerfall führte. Der Eltern-Tipp von Martina Friedrich.

«Die haben unseren Ausreiseantrag genehmigt. Wir müssen morgen schon nach Berlin fahren. Wir dürfen nur ein paar Sachen packen, der Rest soll nachgeschickt werden. Ina, wir müssen Abschied nehmen.» Für die Freundinnen Ina und Gertrude bedeutet der amtliche Bescheid im Jahr 1977, dass dies ein Abschied für immer wird.
«Wie soll ich Gertrude wiedersehen, wenn sie in Westberlin wohnt? Ich darf da als DDR-Mädchen doch nicht hin! Ich kann nach Ostberlin, ja, aber da steht eine dicke Mauer, die beide Berlins voneinander trennt. Ich hier, Gertrude da. Und überall bewachen Soldaten diese Mauer, und wenn jemand versucht drüberzuklettern, wird er erschossen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Mauer jemals verschwindet.»
Judith Burger schildert in ihrem authentischen Roman die tiefe Freundschaft von zwei elfjährigen Mädchen, die trotz aller Schwierigkeiten im Schulalltag zueinanderstehen. Gertrude muss aufgrund des Ausreiseantrags ihrer Eltern die Schule wechseln und kommt so als Aussenseiterin neu in Inas Klasse. Obwohl Ina weiss, dass Gertrude irgendwann die DDR verlassen wird, hilft sie ihr sich in der neuen Klasse zu integrieren.

Unter Beobachtung
Vertrauensvoll erzählt Gertrude Ina über den Ausreisegrund ihres Vaters, einem Dichter: «Vater möchte zu seinem Bruder. Ich hab dir doch erzählt, dass mein Onkel ausgereist ist. Wir dürfen ihn nicht besuchen. Und meine Eltern sind nicht einverstanden damit, wie wir in diesem Land leben müssen.» Der Ausreiseantrag hat Konsequenzen für die Kinder des Dichters. Ein Sohn darf das Abitur nicht machen, Gertrude verlor ihre Freundinnen in der alten Klasse, da sie, ihre Familie von der Stasi (ehemaliger Geheimdienst der DDR) überwacht werden.: «Seit dem Berufsverbot, also seit Vater nicht mehr veröffentlichen darf, hilft er in der Kirchgemeinde aus. Er ist dort «Mädchen für alles». Wir sind auf jeden Pfennig angewiesen, du weißt ja, ich habe vier Geschwister. Mein Onkel schickt uns viel aus dem Westen, aber meistens sind die Pakete und Briefe geöffnet und durchgewühlt, oft fehlen Dinge. Die Stasi beobachtet uns. Meine Mutter kann nur wenig von ihren Keramiksachen verkaufen.»
Vergebens versuchen die Eltern von Ina und Gertrude die Kontakte der Mädchen zu unterbinden, um die Kinder vor der heimlichen Überwachung durch die Stasi zu schützen. Stattdessen freunden sich auch die Eltern an, da sie sehen, dass ihre mutigen Kinder sich von niemanden bevormunden lassen. Durch die Eltern von Gertrude finden Ina und ihre Mutter Kontakt zur Friedensbewegung in der DDR, die sich ab Anfang der 1980er Jahre heimlich unter dem Dach der Kirche formierte und damit den Anfang der friedlichen Revolution 1989 in der DDR begründete. An den sogenannten «Offen Abenden» trafen sich in der Kirche Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen, um zum Beispiel über die Freiheit zur Selbstbestimmung zu reden: «Einige wollen, dass die Menschen der DDR auch in andere Länder reisen können. In Länder wie Italien oder Australien oder einfach in die BRD. Ganz weit weg. Sich die Welt anschauen und einfach wiederkommen können. Aber das darf ja keiner. Wenn du in ein westliches Land willst, musst du entweder wie ein Verbrecher fliehen oder eben einen Ausreiseantrag stellen. Dann darfst du gehen, vielleicht, aber du darfst nicht wiederkommen.»

Das sehr lesenswerte Buch nimmt junge Lesende mit auf eine nachvollziehbare Zeitreise in ein nicht mehr existierendes Land. Zugleich bietet es Zeitzeugen die Möglichkeit, mit jungen Lesenden über ihr Leben und ihre Erfahrungen in der DDR ins Gespräch zu kommen.


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Fachredaktion

  • Titel
    Gertrude grenzenlos
  • Autor:in
    Judith Burger
  • Verlag
    Gerstenberg Verlag
  • Erscheinungsdatum
    2018
  • Seiten
    235
  • Illustrator:in
    Ulrike Möltgen
  • Bewertung