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Crazy Dogs

| Andrea Kromoser | Jugendbuch

Eine Jugend im Ruhrpott der 1980er Jahre: Fünf aufregend-schöne, manchmal auch sehr ruhige und traurige Jahre - davon erzählt der Jugendroman «Crazy Dogs» von Brigitte Werner. Der Jugendbuch-Tipp von Andrea Kromoser. 

Milton Greenes Fotografien von Marylin Monroe sind sehr präsente Bilder. Sie erzählen eine kleine aber eindrückliche Episode Zeitgeschichte und beeindrucken noch Jahrzehnte nach ihrem Entstehen.
„Und ich werde mir das Marylin-Poster gönnen, auf dem sie völlig ungeschminkt ist und so verletzbar aussieht wie eine Pusteblume, von der schon zwei, drei Schirmchen davontreiben. Sie sitzt im Bett und liest und ist so ganz und gar bei sich, dass sie bestimmt nicht einmal gemerkt hat, dass Milton sie fotografierte."

An solchen unbeobachteten, ungeschminkten Augenblicken lässt die Ich-Erzählerin Mirjam ihre LeserInnen in „Crazy Dogs" teilhaben. Sie erzählt aus der Zeit zwischen ihrem 13. und 18. Lebensjahr – fünf aufregend-schöne, manchmal auch sehr ruhige und traurige Jahre.
Mirjam liebt Bücher und sie liebt den Blues. Sowohl als Musikform als auch als Metapher für eine melancholische Stimmung. Mirjam hat den Blues. Immer wieder. Sie ist oft alleine, in sich gekehrt, dabei jedoch niemals einsam. Ihre Jugendzeit ist voller Begegnungen: sie trifft auf sehr individuelle Charaktere. Brigitte Werner widmet der Darstellung und Inszenierung ihrer Figuren viel Raum; sie erzählt in Details, die sich leider all zu oft wiederholen. Jedoch sind ihre ProtagonistInnen liebevoll und in feinen Strichen gezeichnet, an vielen Stellen birgt gerade diese Überzeichnung Potential zum Schmunzeln.

Soundtrack einer Jugend

Umrahmt von Musikzitaten aus den 1970er-Jahren führt Mirjams Geschichte in die 80er. In eine Zeit, in der in Fotoapparate noch Filme eingelegt wurden, Treffen via Festnetztelefonate vereinbart und selbst bespielte Musikkassetten getauscht wurden. Im Hintergrund des Textes spielt die Musik der Elterngeneration der Protagonistin, im Vordergrund wird Mirjams Privatleben in die gesellschaftlichen Kontexte der 80er-Jahre gebettet. Sie ist ebenso eindeutig ein Kind ihrer Zeit als auch ihrer Gegend. – Handlungsraum ist der nordrhein-westfälische Ruhrpott, welcher sich im Sprachgebrauch der Figuren breit macht. Hier wird mit Herzklabastern und Sperenzchen nicht gespart. Alles Kokolores möchte man meinen! Ist es jedoch mitnichten. Die oftmals sehr rheinisch angereicherte Sprache schenkt den ProtagonistInnen gerade dann Authentizität wenn es gilt, über kleine Unebenheiten in der Dramaturgie hinweg zu sehen.

Lichtsammlerin

Mirjam liebt es zu fotografieren. Sie mag besondere Schatteneffekte, experimentiert mit ihrer Kamera und verwandelt sich vom etwas orientierungslosen Teenie zur Lichtsammlerin. „Ich liebe das Licht. Ich liebe es, weil es wegen der Schatten so besonders ist." Mirjam verwandelt sich und lässt ihren LeserInnen an dieser Entwicklung bis ins Detail Teil haben. Ihre Erzählweise ist pathetisch, emotional, esoterisch, manchmal auch zu kitschig jedoch ihrer Gefühls- und Gedankenwelt immer ganz nahe. „Elegantschlichtwundervollschön."

Langer Atem

Sowohl für die Ich-Erzählung als auch für den Handlungsverlauf ist ein langer Atmen von Nöten. Ebenso wie ihre verrückt-liebevollen Hippieeltern brauchen auch die LeserInnen Geduld mit der Heldin und ihrer Geschichte. Neben dem detailliert als auch sehr emotional geschilderten Familienleben wird aus dem Alltag einer befreundeten, jüdische Familie und Mirjams musikalischer Kariere in der Band „Crazy Dogs" berichtet. Hinzu kommt das Outing des besten Freundes, die unerkannte Liebe zum Cousin dieses Freundes, Intrigen im Freundeskreis, eine wilde Affäre mit einem um viele Jahre älteren Mann und noch Vieles mehr. Nicht zuletzt hinterlässt ein familiärer Schicksalsschlag eine tiefe Wunde in Mirjams verletzlicher Seele, die es zu heilen gilt, bevor eine beschützte als auch freie Jugendzeit zu Ende geht.

„Ich mache mich auf nach Oberhausen, Freitag, direkt nach der Schule, nehme ich den Zug, ich will vor dem großen Andrang im Schloss sein, um Marylin ganz für mich allein zu haben. (...) Die Ausstellungsräume sind noch fast leer. Ich liebe diese Räume. (...) Vor dem speziellen Roten-Pullover-Foto stehe ich lange, ich hätte diese Frau so gerne kennengelernt."
Das gilt auch für die Ich-Erzählerin selbst; die in ihrer durch vertrauliche Momentaufnahmen angereicherten Erzählweise immer wieder an eine ungeschminkt-verletzliche Marylin Monroe erinnert. Diese junge Frau kennenzulernen wäre schön.

 


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Andrea Kromoser

Andrea Kromoser schreibt für Leporello über Bilderbücher, Kinderbücher und Jugendbücher.Andrea ist gelernte Buchhändlerin, sie hat Germanistik in Wien studiert und mittlerweile ihr Angebot familienle…
  • Titel
    Crazy Dogs
  • Autor:in
    Brigitte Werner
  • Genre
    Fiction
  • Verlag
    Freies Geistesleben
  • Erscheinungsdatum
    2014
  • Seiten
    480
  • Bewertung