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Der Vogelschorsch

| Silke Rabus | Jugendbuch

Hannes Wirlingers Debütroman über Lena und den Aussenseiter Vogelschorsch besticht durch seine sprachlichen Bilder ebenso wie die vielschichtigen Schwarz-Weiss-Illustrationen von Ulrike Möltgen. Der Jugendbuch-Tipp von Silke Rabus.

Als die 14-jährige Ich-Erzählerin Lena den 17-jährigen Vogelschorsch das erste Mal sieht, regnet es Fische aus dem Betonrohr oberhalb des Hauses. „Glitschige, schuppige, bescheuert stierende Fische. Massenhaft. Hunderte. Tausende.“ Es sind Bilder wie diese, die Hannes Wirlingers Jugendroman auszeichnen und die er so selbstverständlich beschreibt, als müsse man einfach nur genau hinsehen. Die Welten der beiden Jugendlichen könnten dabei unterschiedlicher nicht sein. Lena streift mit ihren Freunden, dem „Lederer Lukas“ und dem „Mühltaler Max“, durch die österreichische Provinz und beide sind, irgendwie, verliebt in sie. Der Vogelschorsch dagegen ist schmächtig mit einer Frisur, als „hätte ihm jemand einen Topf schräg auf den Kopf gesetzt“, und redet mit Vögeln, als seien diese die besseren Menschen: ein Aussenseiter also, der den sowieso schon fragilen Balanceakt zwischen den Jugendlichen empfindlich stört.

Wenn die Welt zerbricht
Erwachsene dringen in diesen Kosmos, in dem ganz eigene Gesetze gelten, nur dann ein, wenn es ernst wird. Und das wird es. Immer mehr Risse durchziehen eine scheinbar heile Welt, bis sie schliesslich an allen Ecken und Enden zerbirst. Zum einen wollen sich Lenas Eltern trennen. Zum anderen verschwindet erst die Mutter vom Vogelschorsch, später trinkt sich sein schlagender Vater zu Tode, und schliesslich stirbt auch seine ihn behütende Grossmutter und lässt ihn mit seiner seltsamen Liebe zu den Vögeln und nun auch den Toten allein. So viel Unglück ist nur schwer zu ertragen – noch dazu, wenn man mit den Verwirrungen des Erwachsenwerdens zu kämpfen hat. Und doch blitzt immer wieder enorme Kraft aus den mitspielenden Charakteren, für die der Autor aus einem schillernden Gemisch durchaus widersprüchlicher Gefühle schöpft.

Bewegendes Debüt
Die vielfach ganzseitigen Schwarz-Weiss-Bilder von Ulrike Möltgen fangen die wechselnden Stimmungen der Protagonisten ein: In ihrer diffusen Verwaschenheit spiegeln sie die vielschichtigen Empfindungen der mitspielenden Personen ebenso wider wie sie die als Hintergrundkulisse fungierende Landschaft in Szene setzen. Auch ist es ein Genuss, den sprachlichen Wendungen des Autors zu folgen – selbst wenn hier und da ein gründlicheres Korrektorat nicht geschadet hätte. Das Ende, auf das der um Ausgrenzung, Trauer, Liebe und Freundschaft kreisende Jugendroman schlussendlich zusteuert, hätte man dem Vogelschorsch allerdings nicht gewünscht. Dennoch handelt es sich um ein bewegendes und lang im Gedächtnis bleibendes Debüt.


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Silke Rabus

Silke Rabus ist Print- und Online-Redakteurin, Biografin, Lektorin, Journalistin, Kritikerin und Literaturvermittlerin. 
  • Titel
    Der Vogelschorsch
  • Autor:in
    Hannes Wirlinger
  • Genre
    Fiction
  • Verlag
    Jacoby & Stuart
  • Erscheinungsdatum
    2019
  • Seiten
    304
  • Illustrator:in
    Ulrike Möltgen
  • Bewertung