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Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete

| Ina Nefzer | Kinderbuch

Fast scheint es, als habe Petrosilius Zwackelmann gezaubert, zieht doch der Thienemann Verlag urplötzlich eine neue „Hotzenplotz“-Geschichte von Otfried Preussler aus dem Hut. Ina Nefzer erklärt, was es damit auf sich hat.

Der Mann mit den sieben Säbeln ist zurück
Fast scheint es, als habe Petrosilius Zwackelmann gezaubert, zieht doch der Thienemann Verlag urplötzlich eine neue „Hotzenplotz“-Geschichte von Otfried Preussler aus dem Hut.
Bei genauer Betrachtung ist das Säbelrasseln allerdings doch nicht so spektakulär wie angekündigt. Was für eine Sensation wäre es gewesen, hätte es sich beim „neuen Hotzenplotz“ um den vierten Band gehandelt und die Welt könnte endlich erfahren, ob er den Räuberhut tatsächlich an den Nagel gehängt und eine Gastwirtschaft aufgemacht hat!
Und dennoch ist die Aussage des Autors auf dem Frontispiz des dritten Bandes - „Dies ist die endgültig letzte Kasperlgeschichte von Otfried Preussler“ – falsch. Denn der grosse Kinderbuchautor hat sich schon vor sehr langer Zeit für ein Theaterstück eine neue Episode einfallen lassen, die auch als solche veröffentlicht wurde und die unter dem Titel „Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ nun erstmals als Buch erscheint. Dabei handelt es sich - nicht mehr, aber auch nicht weniger – um ein Tie-in: das Buch zum Theaterstück, sprachlich solide in die neue Form gegossen von seiner Tochter Susanne Preussler-Bitsch.
1967 und damit zwei Jahre vor Erscheinen des zweiten Bandes „Neues von Räuber Hotzenplotz“ wurde das Kaspertheater mit dem Titel „Die Fahrt zum Mond“ verfasst. Das erklärt, warum sich vieles ähnelt. Denn beide Geschichten erzählen in unterschiedlichen Varianten, wie der Räuber, gerade 14 Tage im Spritzenhaus eingesperrt, ausbricht und sowohl Kasper, als auch Seppel versuchen, ihn mittels einer List zu Fall zu bringen.
Dabei wird in der neuen Episode auf den erprobten Etikettenschwindel aus Band eins zurückgegriffen: zuerst den Räuber anlocken, dann überwältigen. Nun liegt statt einer Kiste mit der Aufschrift „Achtung Gold!“ eine selbstgebastelte Mondrakete im Handwagen. Die Freunde machen sich auf dem Weg zur Räuberhöhle, um vor Ort lautstark darüber zu streiten, wer fliegen darf, um Silber vom Mond zu holen. Hotzenplotz lässt sich täuschen, stellt die beiden und verlangt, der erste Mondfahrer zu sein. Gutgläubig lässt er sich einen Kartoffelsack als Raumanzug überstülpen und findet sich unversehens in der Zwangsjacke festgezurrt. So wird er Wachtmeister Dimpfelmoser übergeben und ins Gefängnis gesteckt.

Auf den Mond geschossen
Gewohnt souverän baut Otfried Preussler den bildhaften Spruch „jemanden auf den Mond schiessen“ zum zentralen Motiv aus. Im Vergleich zum komplexen Geschehen der seitenstarken Bände wird die neue Episode jedoch linear und einsträngig erzählt, passend zur Bühne. Genau diese einfache Handlungsstruktur in Verbund mit vielen farbigen Bildern empfiehlt die Kurzgeschichte wiederum als Vorlesestoff für kleine Kinder, die noch nie vom berühmt-berüchtigten Räuber gehört haben.
Für alle anderen besteht das Problem, dass „Neues von „Räuber Hotzenplotz“ und „Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ zeitgleich im Spritzenhaus beginnen und im Gefängnis enden. Die kleine und vergleichsweise dünne Episode anstelle des handlungsstarken zweiten Bandes als Fortsetzung zu lesen, ist jedoch nicht zu empfehlen. Zumal Preussler selbst den plot ja offensichtlich für Band zwei verworfen hat. Innerhalb des Werks müsste man daher die neue Geschichte - wenn nicht als Buch zum Stück - als apokryphen zweiten Band bezeichnen.

Mit der Zeichenfeder aufgespiesst
Der Thienemann Verlag hat viel Erfahrung mit der Neuillustrierung von Klassikern und daher mit der Wahl von Thorsten Saleina als Illustrator gutes Augenmass bewiesen. Seine Bilder sind malerischer, aber ebenso karikierend wie F.J. Tripps, der nach eigener Aussage die drei Originalbände „mit der Zeichenfeder aufgespiesst hat“ und der wie Otfried Preussler nicht mehr lebt.

Ansonsten bleibt alles beim Alten: Hotzenplotz gibt sich Mühe, ein guter Räuber zu sein, Kasper ist klüger als Seppel, Grossmutter sorgt für das kulinarische Happyend, Wachtmeister Dimpfelmoser heimst am Ende die Lorbeeren für sich ein. Und die kleinen Zuhörer, sie sind schlauer als alle Figuren und können sich trotz aller Aufregung königlich über das „erzählte Kasperltheater“ amüsieren.


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Ina Nefzer

Ina Nefzer ist promovierte Germanistin mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur. 2001 bis 2006 war sie Chefredakteurin der Fachzeitschrift ESELSOHR, bis 2008 des Kindermagazins DER BUNTE HUND. Heu…
  • Titel
    Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete
  • Autor:in
    Otfried Preussler
  • Genre
    Fiction
  • Verlag
    Thienemann
  • Erscheinungsdatum
    2018
  • Seiten
    64
  • Illustrator:in
    Thorsten Saleina
  • Bewertung