Der siebente Bruder oder Das Herz im Marmeladenglas
Øyvind Torseters grossartige Graphic Novel ist Märchen und Abenteuerreise zugleich. Klug, witzig und einfallsreich erzählt der norwegische Künstler vom lässigen Hans, der seine sechs älteren Brüder aus den Fängen des Trolls befreien will. Der Tipp von Silke Rabus.
„Es war einmal ein König, der hatte sieben Söhne.“ So fangen Märchen an. Die sechs älteren reiten in die weite Welt hinaus, freien sechs Prinzessinnen und werden samt ihren Liebsten von einem bösen Troll in Stein verwandelt. „Wenn ich dich nicht mehr hätte“, sagt der Königsvater zu seinem jüngsten Sohn Hans, „würde ich nicht mehr leben wollen ...“
Mach’s gut Vater!
So weit, so gut. Denn jetzt erst beginnt Øyvind Torseters fulminante Graphic Novel, die sich gleichermassen als klug, witzig, kunstvoll und einfallsreich erweist. „Dann mach ich mich mal besser auf den Weg, sie zu suchen“, verkündet der jüngste Bruder salopp dem traurigen Vater und schwingt sich auf seinen räudigen und zugleich erstaunlich gelenkigen Klepper. Ausgestattet mit einem penibel gepackten Adventure-Rucksack, legt Hans auf seiner turbulenten Abenteuerreise eine Lässigkeit an den Tag, die beneidenswert ist. Nur mit wenigen Strichen und doch in jeder Gemütsregung treffend gezeichnet, pariert der schlaksige Kerl listig alle Gefahren: Einem hungrigen Wolf wird ebenso ein Schnippchen geschlagen wie, wer hätte es anders erwartet, dem bösen Troll der Garaus gemacht. Hans wächst uns indes mehr und mehr ans Herz. Vielleicht auch, weil er selbst in den dramatischsten Situationen seinen ureigensten Bedürfnissen nachgeht. Dazu zählen: Essen, Kaffeetrinken, Aufs-Klo-Gehen. Ein echter Held eben!
Weit, weit weg
Die in zurückhaltenden Farben angelegten Illustrationen strotzen dabei vor Einfällen. Mal auf ganzseitigen, mal auf kleineren Bildfeldern spielt der Norweger souverän mit dem Kontrast von Fläche und Detail, von Farbe und Form, von Figur und Linie. Immer wieder zerschneidet er die in Mischtechnik gestalteten Zeichnungen und fügt sie als Collagen neu zusammen, ausserdem experimentiert er mit wechselnden Schriften, überraschenden Perspektivwechseln und irritierenden Verfremdungseffekten. Grosses Vergnügen bereiten auch die lockeren Dialoge zwischen Menschen und Tieren und die hämischen Kommentare der in der Trollwohnung herumliegenden Skelette: „Das schaffst du niemals!“ Und natürlich schliesst diese grossartige und entdeckungsreiche Geschichte wie im Märchen: Der siebente Sohn befreit nicht nur seine undankbaren Brüder, sondern findet auch die (ziemlich coole) Prinzessin seines Herzens: „Wo reiten wir hin?“, fragt sie am Ende. „Weit, weit weg“, antwortet er gelassen. Genauso muss es sein!
Silke Rabus

-
TitelDer siebente Bruder oder Das Herz im Marmeladenglas
-
GenreComic / Graphic Novel
-
VerlagGerstenberg
-
Erscheinungsdatum2017
-
Seiten120
-
Illustrator:inØyvind Torseter
-
Übersetzer:inMaike Dörries